Euangelion

Bild: privat

Mein - mit Stefan Klöckner gemeinsamer - Beitrag zu einer zeitgemäßen Verkündigung des Evangeliums in einem auch künstlerisch zeitgenössisch gestalteten Buch:

Euangelion. Vertonte Evangelien für das liturgische Jahr

Bilder von Robin Mödder; ACV-Schriftenreihe 33; ConBrio, Regensburg 2022

Mit dem Euangelion erscheint erstmals ein liturgisches Buch mit Evangelien für die Festtage nebeneinander in Text- und ausnotierter Form mit leicht singbaren Weisen. Textgrundlage der Perikopen bildet die Revidierte Einheitsübersetzung der Bibel (2016). Übefiles als Einstudierhilfen ergänzen das Buch.

Hardcover, 428 Seiten, Lesebändchen

CB 1294, ISBN-Nr.: 978-3-940768-94-0

Preis: € 179,00

Bild: privat

Das Geleitwort von Abt Dr. Urban Federer OSB (Einsiedeln) und das Vorwort finden Sie HIER.


KMD Dr. Markus Uhl (Heidelberg) hat das Euangelion wie folgt besprochen:

Wer kennt sie nicht: übereifrige Diakone und Priester, die – meist improvisierend, weil unvorbereitet – Evangelientexte im Freistil kantillieren. Je besser sich die Akteure musikalisch ausgebildet wähnen, desto freier sind dabei die Ergebnisse. Nun ist das Evangelium aber zweifelsfrei kein Ort für Koloraturarien oder märchenhafte Textausdeutung. Die Verkündigung dieser zentralen biblischen Texte, die als Höhepunkt des Wortgottesdienstes ggf. mit einer Prozession, Leuchtern, Weihrauch, einem gesungenen Ruf sowie festlicher Musik gerahmt und begleitet wird, ist weitaus mehr als nur das inhaltliche Vortragen eines Textes. Sie ist ein wahrhaft liturgisches Geschehen, in dem Christus selbst gegenwärtig wird. Grund genug, dem Kantillationsvortrag des Evangeliums die allerhöchste Sorgfalt zukommen zu lassen. Jeder, der schon einmal eine Perikope sorgfältig eingerichtet hat, weiß um die Schwierigkeiten dieses Unterfangens, gerade weil das Ergebnis einfach aussehen soll. 

Das Lektionar sieht fünf Evangelientöne vor, die von Erhard Quack und Fritz Schieri erarbeitet und 1969 im Regelbuch für die Orations- und Lektionstöne in deutscher Sprache veröffentlicht wurden. Sie bilden seither eine gute Grundlage. Für eine regelmäßige Kantillation wünscht man sich aber vor allem als Musiker eine größere Modellvielfalt, ohne dass dabei die grundsätzliche Schlichtheit des Vortrags gefährdet wird.

Marius Schwemmer und Stefan Klöckner gelingt in ihrer Edition »Euangelion« dieser Spagat zwischen künstlerischer Freiheit und formelhafter Zurückhaltung ausgesprochen gut. Sie haben auf der Basis der Tradition, der offiziellen Evangelientöne und eigener Modelle vielfältige Kantillationen vorgelegt, die durchweg geschmackvoll ausgearbeitet sind. Oberstes Ziel war dabei, dass die Vertonung des Textes der Betonung desselben entspricht. Die beiden Autoren gehen dabei musikalisch deutlich über das tonale Spektrum einer gewöhnlichen Kantillation hinaus. Die melodische Färbung orientiert sich aber immer sehr feinfühlig an der Kirchenjahreszeit und der Perikope. Als besonderes Beispiel sei das Evangelium des Gründonnerstags genannt, dessen Kantillation Elemente eines tonus iudaicus aufnimmt und so auf die jüdischen Wurzeln dieses Tages verweist.

Die textliche Grundlage aller Evangelien bildet die revidierte Einheitsübersetzung. An wenigen Stellen wird der Text sanglicher eingerichtet, indem Silben oder Wörter, die für das Verständnis des Inhalts nicht relevant sind, in Klammern gesetzt werden (z.B. auszuzieh[e]n). Jede Perikope ist zunächst als Text abgedruckt, dann – bis auf wenige Ausnahmen wie z.B. die großen Erzählungen der Fastensonntage – als ausnotierte Kantillation. Existiert eine Kurzfassung, wird aus Gründen des Gesamtumfangs und des Gewichts der Edition nur die Kurzfassung musikalisiert. Diese Entscheidungen sind einerseits verständlich, denn so lässt sich das Buch auch gut für den gesprochenen Vortrag verwenden und ein Text ohne Noten wirkt für den Betrachter einladender, wenn das Buch nach der Verkündigung des Evangeliums an einem besonderen Ort aufgestellt wird. Dennoch vermisst man – insbesondere bei den Perikopen des Jahreskreises – die gesanglich ausgeführten Langfassungen der Evangelien, die in vielen Fällen durchaus predigtrelevant sein können.

Die Kantillationen sind in moderner Notenschrift mit halslosen Notenköpfen im Violinschlüssel in einer mittleren, absoluten Tonhöhe ausnotiert. Selten werden Dehnungsstriche gebraucht, da die melodische Einrichtung die Faktur des Textes sehr treffsicher wiedergibt und deshalb kaum Zusatzzeichen notwendig sind. Der Notensatz ist außerordentlich intelligent eingerichtet, was ein intuitives und fehlerarmes Blattlesen ermöglicht. Das wird besonders beim Rezitationston deutlich, bei dem viel Sorgfalt darauf verwendet wurde, wann er als Strich oder als Einzelton wiedergegeben wird. Auch die Zäsurzeichen wurden sehr differenziert gesetzt. Ein Custos hilft zusätzlich beim Zeilenübergang. Um das Einstudieren zu erleichtern, haben die beiden Autoren alle Evangelien aufgenommen. Die Tondateien stehen unter www.euangelion-online.de zum Anhören zur Verfügung.

Die Auswahl der Evangelientöne scheut dabei nicht die Verwendung von subtonalen Tönen, die mit den offiziellen Evangelientönen 2 und 4 zwar vorliegen, aber aufgrund der dann notwendigen anderen Akklamationen der Gemeinde in der Praxis kaum verwendet werden. Die durchweg einfachen und reflexhaft vollziehbaren Antworten dürften aber im gewöhnlichen Gemeindekontext schnell heimisch werden können. Wiedergegeben ist deshalb bei jedem Evangelium der komplette Einleitungsdialog mit der korrekten Eröffnung des „Der Herr sei mit Euch – und mit deinem Geiste“, die in der deutschen Fassung keine Flexion kennt. 

Ein weiteres wesentliches Gestaltungselement dieses zeitgenössischen Evangelistars sind die zehn ansprechenden Bilder von Robin Mödder, die am Beginn eines neuen liturgischen Zeitraums zur Betrachtung einladen. Sie sind unabhängig und lange vor der eigentlichen Erstellung des Buches im Rahmen einer experimentellen Serie entstanden. Die Aufgabe und Intention des Künstlers bei der Ausgestaltung des Buches bestand darin, mit der Auswahl und Zuordnung der Bilder eine optische „Intonation“ in der grundlegenden Stimmung der jeweiligen Kirchenjahreszeit zu schaffen. Die grundsätzlich abstrakten Werke illustrieren dabei nicht primär den liturgischen Text, sondern bleiben freie und selbstständige Kunst, deren Stimmungen und Formen aber sehr gut mit den einzelnen Perikopen korrelieren.

Die Konzeption füllt eine große Lücke im Bereich der liturgischen Bücher und man fragt sich, warum ein vergleichbares Evangelistar nicht schon länger vorliegt. Mit der musikalischen Ausnotierung der Kantillationen wird die gesungene Form des Evangeliums wirklich ernst genommen und die Gemeinde vor mittelmäßig eingerichteten oder improvisierten Kantillationen verschont. Die bewusste Erweiterung der approbierten Evangelientöne und deren freie Verwendung gibt dem Text ein individuelleres musikalisches Gesicht, ohne die Formelhaftigkeit der Melodien oder den Vorrang des Textes vor der Kantillation zu gefährden. Die Gestaltung als vollwertiges, praktikables und künstlerisch hochwertiges liturgisches Buch befreit von technisch mangelhaften und liturgisch unwürdigen Lösungen in der Praxis. Im Zuge der Umstellung auf die neue Einheitsübersetzung aus dem Jahr 2016 und der damit verbundenen Notwendigkeit, die bisherigen liturgischen Bücher zu ersetzen, ist die Edition eine attraktive Alternative zu den bislang üblichen Evangelistaren, die nur den Text wiedergeben.

Zuletzt noch eine Muster-Noten-Seite:

Zurück
Zurück

Rezension

Weiter
Weiter

Rezension