Francesco Feos Oratorium „San Franceso di Sales“
Bild: privat/KIgeneriert
„Pilger der Hoffnung“ – Eine musikalische Spurensuche zum Heiligen Jahr 2025
Die Aufführung von Francesco Feos San Francesco di Sales am 20. Juli 2025 in der Basilika St. Mauritius in Niederalteich im Rahmen der Europäischen Wochen steht im Zeichen des Heiligen Jahres, das die katholische Kirche 2025 feiert. Dieses Meisterwerk des neapolitanischen Barocks verbindet die Person des hl. Franz von Sales mit der Form des Oratoriums, das in der geistlichen Vision des hl. Philipp Neri wurzelt. Ein Blick auf die Heiligen, das Oratorium als Gattung und das Werk selbst macht seine spirituelle Tiefe und seinen Beitrag zum Heiligen Jahr deutlich.
Franz von Sales – Apostel von Chablais
Der Heilige Franz von Sales zählt zu den bedeutendsten geistlichen Autoren der Neuzeit. Geboren 1567 in Thorens-Glières im Herzogtum Savoyen, war für Franz von Sales zunächst eine weltliche Laufbahn vorgesehen. Doch eine tiefe innere Krise in seiner Jugend – ausgelöst durch die calvinistische Lehre von der Prädestination, nach der Gott von Vorneherein festgelegt habe, wer zum ewigen Leben und wer zur ewigen Verdammnis bestimmt ist – erschütterte sein Gottesvertrauen grundlegend. Diese Glaubensangst überwand er durch intensives Gebet und eine bewusste Hingabe seines Lebens an Gott. Daraus erwuchs eine radikale Hinwendung zum Glauben und die Überzeugung, die sein weiteres Denken und Wirken prägte: Gott ist Liebe.
Nach dem Jurastudium– mit Promotion in beiden Rechten – sowie einem theologischen in Padua empfing er 1593 die Priesterweihe und wurde gleichzeitig Dompropst. Ab 1594 widmete sich Franz mit unermüdlichem Eifer der Rückführung calvinistischer Gemeinden in den katholischen Glauben, insbesondere im Chablais südlich des Genfer Sees. Mit Flugblättern gelang es ihm, zahlreiche Menschen für die katholische Kirche zurückzugewinnen. Nicht Drohung oder Zwang, sondern Milde, Argumentationskraft und ein dialogischer Stil kennzeichneten sein Vorgehen.
1602 wurde Franz zum Bischof von Genf ernannt – mit Sitz im benachbarten Annecy. In diesem Amt setzte er die Reformen des Konzils von Trient um, pflegte intensive seelsorgliche Präsenz und besuchte persönlich alle Pfarreien seiner Diözese. 1610 gründete er gemeinsam mit Johanna Franziska Frémyot, der Baronin von Chantal (1572–1641), die Kongregation der Heimsuchung Mariens (Ordo Visitationis Beatissimae Mariae Virginis, kurz Visitandinnen oder Salesianerinnen genannt).
Als Seelsorger stellte Franz von Sales stets die Liebe in den Mittelpunkt. Er war überzeugt, dass Gott in erster Linie als Liebe erfahren wird und dass der geistliche Fortschritt nicht durch spektakuläre Taten, sondern durch stetige Bemühung im Alltag geschieht. Für Franz war jeder Mensch zur Heiligkeit berufen – unabhängig von Stand, Beruf oder Lebensform. Frömmigkeit und Berufung sollten sich durchdringen und so die Welt zum Guten verändern. Diese Überzeugung entfaltet er auch in seinen beiden bekanntesten Schriften: Philothea („Anleitung zum frommen Leben“) und Theotimus („Abhandlung über die Gottesliebe“). Beide wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und sind bis heute Wegweiser christlicher Spiritualität. Sie verkünden eine Spiritualität der Heiligung im Alltag: Heiligkeit steht nicht nur Priestern und Ordensleuten offen, sondern ebenso Laien, Ehepaaren und Berufstätigen. Wahre Frömmigkeit – so Franz – besteht darin, alle Lebensbereiche mit Liebe zu erfüllen und das Gewöhnliche in außergewöhnlicher Weise zu tun. Seine Gebetsanleitungen und Meditationen, besonders jene in der Philothea, wollen den Beter befähigen, inmitten des Alltags zur inneren Sammlung und in die Gegenwart Gottes zu finden.
Franz von Sales starb 1622 während einer Reise in Lyon. Er wurde im Kloster der Heimsuchung Mariens in Annecy bestattet, 1665 heiliggesprochen und 1877 zum Kirchenlehrer erhoben.
Francesco Feo – ein Meister des neapolitanischen Barocks
Die Werke Francesco Feos (1691–1761) genossen zu dessen Lebzeiten höchstes Ansehen:
Neben der überlieferten Hochachtung von Giovanni Battista Martini (1706–1784) und Johann Adolph Hasse (1699–1783) nannte ihn der englische Musikschriftsteller Charles Burney (1726–1814) „one of the greatest Napoletan masters of his time“ und lobte seine Vokalmusik als „full of fire, invention and force in the melody and expression of the words“ (A General History of Music, Vol. 4, London 1789, 550f.). Der deutsche Violinist, Komponist und Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) nannte ihn „eine[n] der allergrößten Kirchenkomponisten [sic!] die Italien je gehabt hat“ und stellte ihn auf eine Stufe mit Bach und Händel (Musikalisches Kunstmagazin, Zweiter Band, V. Stück, Berlin 1791, 122). Seine musikalische Ausbildung erhielt Feo zwischen 1704 und 1712 am Conservatorio della Pietà dei Turchini in seiner Geburtsstadt Neapel. Aus diesem wie drei weiteren Konservatorien in dieser Stadt ging eine einflussreiche Komponistengeneration hervor, die ab etwa 1650 über ein Jahrhundert lang von Neapel aus die Entwicklung der Oper in ganz Europa entscheidend prägte und als „Neapolitanische Schule“ bezeichnet wird. Ab 1713 tritt Feo als Komponist von Opern in Erscheinung. Zwischen 1723 und 1743 entstanden seine meisten kirchenmusikalischen Werke – neben Oratorien und geistlichen Kantaten für die Andacht in den religiösen Institutionen Neapels ca. 200 liturgische Stücke wie Messen, Cantica, Psalmen oder Motetten. Daneben war Feo ein gefragter Gesangs- und Kompositionslehrer. Er unterrichtete unter anderem Pergolesi und Jommelli, und prägte eine ganze Generation von Komponisten.
Das Oratorium als spirituell-kirchenmusikalische Gattung
Die kirchenmusikalische Gattung des Oratorium ist untrennbar mit Philipp Neri (1515–1595), einem der großen Heiligen der katholischen Gegenreformation verbunden. Geboren in Florenz kam er in Kontakt mit dem dort ansässigen Konvent der observanten Dominikanern von S. Marco und damit mit dem von Girolamo Savonarola (1452–1498) zur Förderung der Volksfrömmigkeit eingesetzten Laudengesang. Diese ursprünglich einstimmigen, später mehrstimmigen Vertonungen religiöser, in der Regel nicht liturgischer, volkstümlich- volkssprachlicher (italienischer) Dichtungen dienten als Lobgesänge in geistlichen Andachten.
Um 1534 ging er zum Theologie- und Philosophiestudium nach Rom, das er jedoch abbrach und ein zurückgezogenes Leben führte: Nachts betete er in einer der sieben Hauptkirchen Roms und tagsüber kümmerte er sich um Arme und Obdachlose. 1548 gründete er die Confraternità della SS. Trinità dei Pellegrini zur Sorge um kranke Rompilger und zur eucharistischen Anbetung.
1551 wurde Philipp Neri zum Priester geweiht und schloss sich der an San Girolamo della Carità angesiedelten Gemeinschaft von Weltpriestern an. In seinem Zimmer, später in einem Speicherraum über einem Seitenschiff besagter römischen Kirche – dem sogenannten oratorio –, gründete er einen geistlichen Gesprächskreis. Dort entwickelte sich eine regelmäßige Form geistlicher Versammlung, die esercizi dell’oratorio, bestehend aus Andacht, Gebet, geistlicher Lesung, mitunter auch Laienpredigt sowie Laudengesang in der Volkssprache. Diese Zusammenkünfte erfreuten sich bald großer Beliebtheit – besonders unter der städtischen Bevölkerung Roms. Als er 1563 Rektor von San Giovanni dei Fiorentini wurde, etablierte er diese Form geistlicher Versammlung auch dort. Die Frömmigkeitsbewegung für Priester und Laien wurde schließlich 1575 von Papst Gregor XIII. als Congregazione dei Preti dell’Oratorio kirchlich anerkannt. Neri und seine Gemeinschaft erhielten die Kirche Santa Maria in Vallicella, die fortan das Zentrum der oratorianischen Bewegung wurde.
Auch Franz von Sales war tief beeindruckt von dieser Spiritualität. Während seiner Romaufenthalte besuchte er regelmäßig das Oratorium der Kirche Santa Maria in Vallicella und stand in engem Austausch mit Mitgliedern der römischen Oratorianer – darunter mit Cesare Baronio (1538–1607), einem engen Vertrauten und Schüler Neris. Franz von Sales war zudem mit Pierre de Bérulle (1575–1629) verbunden, der 1611 in Paris eine eigene Oratorianergemeinschaft (Congregatio Oratorii Jesu et Mariae Immaculatae) nach dem römischen Vorbild gründete.
Musikalisch gestaltet wurden die geistlichen Versammlungen Neris zunehmend vor allem durch Lauden in dialogischer Form: etwa als Gespräch zwischen einem Lehrer und einem Schüler zu einem geistlichen Thema, zwischen Christus und der Seele oder auch biblischen oder allegorischen Figuren. Komponisten wie Giovanni Animuccia (um 1514–1571) unterstützten diese Form durch eigens komponierte Musik. Auch von Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525–1594) lassen sich mehrere musikalische Verpflichtungen für Neri, der sein Beichtvater war, nachweisen. Aus dieser Praxis entwickelte sich allmählich das Oratorium als eigenständige Gattung geistlicher Musik.
Philipp Neri, der sich Zeit seines Lebens der Nächstenliebe und einer volksnahen Frömmigkeit widmete, starb 1595 in Rom. Er wurde 1622 heiliggesprochen.
Das Oratorium San Francesco di Sales - Apostolo del Chablais
Das Oratorium S. Francesco di Sales - Apostolo del Chablais erklang erstmals vermutlich 1734 – im Oratorio della Madonna di Galiera, Bologna und im Oratorio di S. Filippo Neri, Rom. Bis 1775 sind zahlreiche Folgeaufführungen und eine große Verbreitung belegt (1736: S. Filippo Neri, Genua; 1737: S, Margherita, Città di Castello; 1741: Congregazione di Gesú, Florenz und Oratorio di S. Filippo Neri, Venedig; 1742: S. Francesco, Foligno; 1743: Florenz; 1745: S. Gregorio Maggiore, Spoleto; 1746: Oratorio di S. Filippo Neri, Venedig; 1750 und 1754: Mantua; 1755: S. Filippo Neri, Genua). Die Aufführungsorte dokumentieren die enge Verbindung mit dem Oratorium des Philipp Neri.
Dennoch entspricht das Werk nicht vollständig der traditionellen musikalischen Oratoriumsgattung, wie sie Johann Gottfried Walther in seinem 1732 in Leipzig erschienenen Musicalischen Lexicon – dem ersten enzyklopädischen Musiklexikon in deutscher Sprache beschreibt (S. 451f.): „Oratorio [...] eine geistliche Opera, oder musicalische Vorstellung einer geistlichen Historie in den Capellen oder Cammern grosser Herren, aus Gesprächen, Soli, Duo und Trio, Ritornellen, starcken Chören ec. bestehend. Die musicalische Composition muß reich an allen seyn, was nur die Kunst sinnreiches und gesuchtes aufzubringen vermag [...].“
Feos Oratorium ist weniger eine konkrete „geistliche Historie“ als vielmehr ein zweiteiliges, laudenartig-dialogisches allegorisches Drama, das in Rezitativen, Arien und zwei Ensemblenummern das Wirken des hl. Franz von Sales als „Apostel des Chablais“ in den Mittelpunkt stellt. Zwar verweist der Titel ausdrücklich auf das konkrete missionarische Wirken des Heiligen, doch wird dieses nicht in Form einer biografischen Nacherzählung entfaltet. Vielmehr wählt das Libretto – dessen Verfasser nicht bekannt ist – eine symbolisch-dramatische Darstellung, in der Themen wie Täuschung, Wahrheit, Mission und göttliche Führung in allegorischer Weise verhandelt werden. Neben Franz von Sales treten als handelnde Figuren ein Engel als göttlicher Wegweiser sowie die personifizierten Gegenkräfte „Täuschung“ (Inganno) und ihre Tochter „Ketzerei“ (Eresia) auf. So wird das Wirken des Heiligen nicht als historisches Ereignis rekonstruiert, sondern als geistlicher Kampf um Wahrheit in universeller Perspektive dargestellt.
Teil I des Oratoriums handelt von Sendung und Widerstand: Der Engel klagt den geistlichen Verfall von Chablais an: Die Ketzerei hat die Wahrheit verdunkelt, die Religion hat sich zurückgezogen. Um die Menschheit zu retten, sendet Gott Franz von Sales. Dieser zeigt sich zunächst erschüttert von der geistlichen Verwüstung – zerstörte Kirchen, entweihte Altäre –, nimmt die Berufung jedoch in Demut und unter göttlichem Schutz an. Ketzerei und Täuschung begegnen ihm mit Spott und List, versuchen ihn zu entmutigen und den Zugang zum Volk (in die Stadt) zu verwehren. Franz erkennt die Maskerade des Irrtums: Freundlichkeit verbirgt Bosheit, Argumente der Ketzerei entstellen die Schrift. Mit ruhiger, leidenschaftlicher Rede entlarvt er ihre Logik, hält an der Wahrheit der Kirche fest und beginnt, das Kreuz symbolisch wieder zu errichten.
Teil II handelt vom Sieg der Wahrheit: Die Macht der göttlichen Wahrheit zeigt Wirkung: Das Volk beginnt, sich zu bekehren. Täuschung und Ketzerei verzweifeln und klagen über ihre schwindende Macht. Der Engel mahnt sie zur Umkehr, aber sie verharren im Widerstand. Franz von Sales bleibt unbeirrt und betet zu Gott, den Menschen, die sich von der Wahrheit entfernt haben, sein erleuchtendes Licht zu senden. Dieses soll Verstand, Herz und Seele erhellen und entflammen, damit die Verirrten ihre Täuschung erkennen, ihren Irrtum einsehen und zur Umkehr geführt werden. Täuschung und Ketzerei versuchen erneut, mit halben Wahrheiten zu überzeugen. Franz von Sales aber antwortet mit biblischen Anklängen: Glaube ohne Werke ist wie eine Pflanze, die keine Frucht trägt – schöne Blätter allein genügen nicht. Solche nutzlose Pflanzen reißt der Herr aus und wirft sie ins Feuer, damit sie den fruchtbaren Gewächsen, die wohlgefällige und süße Frucht tragen, nicht länger die Nahrung entziehen. In der dramatischen Schlusswendung erscheint ein Engel mit dem Schwert der göttlichen Gerechtigkeit. Täuschung und Ketzerei erkennen ihre Niederlage, werden an das Ufer des Avernus, wo sich in der klassischen Mythologie das Tor zur Unterwelt befindet, verbannt, kündigen aber an, an anderer Stelle ihren Kampf gegen die Wahrheit fortzusetzen. Nächstenliebe, Hoffnung, Glaube und Frömmigkeit kehren wieder zurück. Ein „Chor der Katholiken“ schließt das Werk mit Lob auf Franz’ Tugend und auf die Rückkehr der Wahrheit.
Ein musikalischer Pilgerweg
Feos Oratorium ist ein zutiefst spirituelles Werk über die Kraft des Glaubens und die Heiligkeit der Wahrheit. Franz von Sales erscheint darin nicht als triumphierender Held, sondern als Pilger der Hoffnung, der – geführt von einem Engel – mutig dem Widerstand mit dem Licht der Wahrheit entgegentritt.
Papst Franziskus sprach bei der Übergabe der Verkündigungsbulle am 9. Mai 2024:
„Mit unseren Gesten, mit unseren Worten, mit unseren alltäglichen Entscheidungen, mit der Geduld, ein wenig Schönheit und Güte zu säen, wo immer wir sind, wollen wir von der Hoffnung singen, damit ihre Melodie die Saiten der Menschheit zum Schwingen bringe und in den Herzen wieder die Freude und den Mut erwecke, das Leben zu umarmen.“
In einer Zeit, die – wie der Papst sagte – von Verzweiflung und Orientierungslosigkeit geprägt ist, sind Christinnen und Christen aufgerufen, „Sänger der Hoffnung“ zu sein. Franz von Sales und seine Spiritualität der Heiligkeit im Alltag sind ein inspirierender Wegweiser für unsere Zeit. Die Aufführung eines Oratoriums über diesen Heiligen baut eine Brücke zu Philipp Neri. Beide verband das Anliegen einer volksnahen Frömmigkeit, einer lebendigen Laienspiritualität, der Zuwendung zum Nächsten und der festen Überzeugung, dass Gott dem Menschen in Liebe begegnet. Jeder auf seine Weise wurde für andere zum „Pilgerleiter der Hoffnung“ und leistete seinen Beitrag zu jenem Sieg der Wahrheit, der die Liebe ist.
So wird diese Aufführung zu mehr als einer Wiederentdeckung eines barocken Musikjuwels: Sie lädt ein zu einer klanggewordenen Wallfahrt im Geist des Heiligen Jahres – ein Pilgerweg durch das Ohr zum Herzen, zu Gott und zu sich selbst.
Marius Schwemmer